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/ 19.Juni 2025

Jasmin Schädler: Einblicke in die Recherche

Eine Frau hält ein Mikrofon und interviewt einen Mann in einem Auto, während beide ein Gespräch führen.

Lange roch es im Auto meines Vaters nach Wrigleys Kinderkaugummi, denn den kaute er am liebsten und zwar immer sobald er im Auto saß. Dieser süßlich frische Geruch war der Einzige, der gleichblieb. Das Auto wechselte regelmäßig und jeder neue Waagen, der auch immer ein Neuwagen war, roch nach neuen Weichmachern, die mich leicht benommen machten.

Meine Mutter hingegen hatte immer langfristige Autos und immer wieder dasselbe Modell in neuer Ausführung, wobei wir, seit ich auf der Welt bin, bisher auf genau drei gekommen sind – drei Nissan Micras, der letzte Baujahr 2009 und der fährt auch weiterhin zuverlässig. 
Ich habe nie eine sonderlich emotionale Beziehung zu Autos entwickelt. Unsere Autos hatten nie Spitznamen, in der Bezugnahme wurde von der Modellbezeichnung oder der Automarke gesprochen. Unsere Autos waren stets pragmatisch und ordentlich im Innenraum. Es gab ein paar nützliche Dinge, die ihren festen Platz hatten und eine Zeit lang fuhr ein Wackeldackel auf der Hutablage des Micras mit, weil mein Bruder und ich das als Kinder unglaublich lustig fanden.

Egal ob wir persönlich einen großen Autobezug haben oder nicht, eigentlich hat jede*r irgendwas zu erzählen, das sich auf Autos bezieht – denn Autos sind omnipräsent, in unserer Welt, hier in Mitteleuropa. Und besonders in Stuttgart, dem württembergischen Stutengarten, der Heimat der schwäbischen Pferdestärke: von der herzoglichen Pferdezucht zur privatwirtschaftlichen Autoschmiede.

Die Region Stuttgart hat hierzu folgendes zu sagen: “118.000 Menschen in der Region sind unmittelbar im Automobil-Cluster beschäftigt. Zählt man die Firmen dazu, die nicht direkt dem Fahrzeugbau zugeordnet sind, aber einen großen oder größeren Teil ihres Umsatzes mit der Fahrzeugbauindustrie erzielen, dann erhöht sich diese Zahl auf rund 215.000 Menschen. Fast 54 Prozent des Umsatzes der gesamten verarbeitenden Gewerbe in der Region Stuttgart kommen aus der Kfz-Branche. 56 Prozent des Umsatzes der baden-württembergischen Fahrzeugbauindustrie werden in der Region erzielt.”

Das Auto prägt uns hier in Stuttgart also mindestens als abstrakter Wirtschaftsfaktor. Aber was sind die persönlichen Geschichten hinter all diesen Autos und welche Bedeutung hat das Auto als identitätsstiftender Faktor? 
Automobil – die Selbstbewegung, wir bewegen uns selbst, individuell und das Fahrzeug bewegt sich selbst, unabhängig von Schienen und Stromleitungen, ein doppeltes selbst, das zu einem neuen ganzen wird, zum Auto: ein durch und durch selbstreferentieller Begriff und der Beginn einer alltäglich ausgelebten Cyborgidentität. Aber wer erweitert hier wen? Das Auto, den Menschen oder der Mensch das Auto? 
Wie würde das eine Betrachter*in von außen bewerten? Evan Eisenberg und Daniel Miller haben jeweils eine Art Parabel hierzu erdacht – siehe The Humanity of the Car by Gordon M. Sayre (2020). Aliens schauen aus der Ferne und von oben auf unsere Zivilisation und schlussfolgern, dass die dominierende Spezies auf der Erde schimmernde Reptilien auf vier Rädern (manchmal auch zwei oder zwölf) sein müssen, die von Menschen – der eine nennt sie Parasiten oder Symbionten einer Endosymbiose, der andere nennt sie Sklaven – bewohnt, genutzt und gepflegt werden. Die Menschen tun alles dafür, den Lebensraum für diese Radreptilien so komfortabel wie möglich zu gestalten. 
Haben wir uns also innerhalb von nicht einmal 150 Jahren Automobil zum Selbstzweck eben dessen gemacht? Oder geht es durch das Medium Auto vor allem um uns selbst? Auf vielen Ebenen ist das Auto eine Externalisierung unserer selbst. Oft ist das Auto, in dem wir uns fortbewegen, das erste und manchmal auch das einzige, was andere Menschen von uns sehen. Manchmal ist die Welt tatsächlich so, wie im Pixar Film Cars, bei dem nur Autos miteinander interagieren. Inzwischen kursieren Theorien, dass in jedem dieser Autos eigentlich ein Mensch steckt, der wirklich eine Endosymbiose mit seinem Fahrzeug eingegangen ist, in einer Welt, die für Menschen ohne diesen Schutzpanzer nicht mehr lebenswert ist. Eine düstere Backstory für so einen bunten und freundlichen Film. 
Es gibt eine Studie aus 2006 des Psychologie Departments der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, bei der Proband*innen Menschen und ihre Autos einander zuordnen sollten und das klappte tatsächlich in über 60% der Auto-Mensch Paare sehr zuverlässig.

Im Rahmen meiner Interviews hatte ich auch die Möglichkeit mit Sara Dahme zu sprechen – Kunstvermittlerin, Stadträtin und selbst Autoenthusiastin. Wir saßen samt Mikrofon in einem 911er Porsche, Jahrgang 1970, in der Halle von Rühle Sportwagenbau. Sara denkt durch ihre unterschiedlichen Prägungen sehr vielseitig über Autos nach und hat, wenn es um die soziale und kulturelle Bedeutung von Autos geht, zu jeder Frage sofort wohl durchdachte Gedanken parat. Sie beantwortet die Frage nach dem Auto als Statussymbol mit Gedanken zur gesellschaftlichen Teilhabe:  
“Warum tragen Menschen gefakte Gucci Taschen auf der Königsstraße? Weil sie teilhaben wollen, weil sie sich einschreiben wollen in eine Welt, von der sie nie Teil sein werden. Warum kaufen sich Menschen Autos, die sie sich eigentlich nicht leisten können? Weil sie Teil sein wollen, weil sie sagen wollen, ich gehöre dazu. Das ist zwar fake, aber eigentlich auch ein total solidarischer Moment. […] Ja, so sind Menschen, Menschen wollen gesehen werden. Und sie können über verschiedene Dinge gesehen werden, unter anderem über Autos.”
Wir sprechen auch darüber, was es heißt, als Frau ein Faible für besondere Autos zu haben und sich mit diesen Autos nicht nur richtig gut auszukennen, sondern auch in der Öffentlichkeit zu zeigen. Sara erzählt von Sprüchen wie “Schönes Auto hat dein Mann” oder “Geil, dass du so ‘ne Männer-Karre fährst”. Sie stellt die Vermutung auf, dass Autos und Frauen beide als potentielles Statussymbol fungieren und wenn sich das doppelt, dann fühlen sich manche Männer ausgeliefert. Es erzeugt ein Ohnmachtsgefühl, wenn die Frau selbst das begehrenswerte Auto besitzt. Das hängt mit bestimmten Einstellungen gegenüber Besitzverhältnissen und Attraktivität zusammen, Objektophilie und Begierde spielen hier auch eine Rolle.
Das Auto als tatsächliches Objekt der Begierde oder als liebenswertes Gegenüber scheint ein großes Thema zu sein. Autos wurden sehr lange fast ausschließlich mit weiblich gelesenen Körpern beworben und so inszeniert, als wären sie der Partner, das begehrenswerte Gegenüber, also die direkte Identifikationsfigur für den potentiellen männlichen Käufer.

Einige Menschen haben mir davon erzählt, dass sie ihren Fahrzeugen Namen geben. Und auch im Gespräch mit dem Autohändler und KFZ-Werkstattinhaber Martin Wolf war das Thema: viele seiner Kund*innen geben ihren Fahrzeugen Namen und trauern um sie, wenn die Autos dann irgendwann nicht mehr fahrtauglich sind. Ich muss auch direkt an die Redensart “den Geist aufgeben” denken, die wir vor allem für Maschinen und Geräte verwenden. Obwohl sie ursprünglich mal gleichbedeutend mit sterben war, und zwar im Bezug auf Menschen. Auch die Mitarbeiter der KFZ-Werkstatt erzählen, dass sie ihre Arbeit parallel zur Arbeit am menschlichen Körper sehen – wenn das Auto nicht funktioniert, kann das schließlich auch direkte Auswirkungen auf den Körper, der drinsitzt, haben.
An der Universität Wien wurde vor etwas über zehn Jahren ausführlich daran geforscht, ob Menschen in Autos Gesichter erkennen. Und tatsächlich ist dem so und nicht nur das, es werden auch Charakterzüge erkannt. Laut einem Interview, das der Wall Street Journal Autor Dan Neil, der Einzige, der je einen Pulitzer Preis für Autoberichterstattung erhalten hat, mit dem Auto Designer Peter Horbury (Volvo & Gell Holding Group) geführt hat, ist auch genau das die Intention der Designteams. Hierbei wird die evolutionär begünstigte Eigenschaft, Gesichter schnell erkennen zu können und sehr schnell sehr viele Informationen daraus abzulesen, genutzt.

Ein Leben ohne Autos ist aktuell sehr schwer vorstellbar. Wir haben sie nicht nur anthropomorphisiert, sondern unsere gesamtgesellschaftliche Lebensweise nach ihnen ausgerichtet. Auch wenn Zukunftsprognose aktuell von autonomen Transportkapseln und Drohnen gesteuerten Flugtaxis sprechen, scheint eine Welt ohne die Möglichkeit sich im persönlichen Fahrzeug auszudrücken und fortzubewegen sehr fern. Im Hier und Jetzt ist das Auto ein gesellschaftliches Bindeglied, das Austausch und Begegnung über gesellschaftliche Schichten hinweg ermöglicht, das Menschen zusammenführt, selbst wenn sie ganz unterschiedlicher Meinung sein mögen. Das Auto ist ein Anlass, miteinander zu sprechen. Im Zuge meiner Interviews hatte ich auch die Möglichkeit, mit ganz unterschiedlichen Menschen ins Gespräch zu kommen. Und sicherlich bin ich einigen nur durch das Thema Auto begegnet. Was wir dabei alles so besprochen haben, wird ab dem 26.06. in einem schicken Opel Combo, der dafür noch shiny verpackt wird – ein großes Dankeschön an Jenny Rösch vom Atelier Schulze für die tatkräftige Unterstützung beim Aufbringen der Folie – zu hören sein.

Kommt vorbei und hört Autopodcast im Auto. Am 26.06. auf dem Marienplatz und vom 27.06-27.07. vor dem WKV parallel zu den dortigen Öffnungszeiten.

Hin und wieder wird es auch mal eine kleinere oder größere Aktion geben. Am 25.07. wird zum Beispiel der Komponist Ui-Kyung Lee ein kleines Autogeräuschkonzert geben. Weitere Events folgen auf Social Media. 

Foto-Credits: 
Season Opening Rühle Sportwagen, 18. Mai 2025, Foto © Sara Dahme

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