10. Mai 2023

Tag der Offenen Tür in der Schwabenbräu-Passage am 12. Mai 2023!

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Opening Schwabenbräu-Passage ©Matter Of

Tag der Offenen Tür Schwabenbräu-Passage ©Matter Of

Diesen Freitag, den 12. Mai 2023 öffnet die ehemalige Schwabenbräu-Passage ihre Tore für alle Interessierte, die einen Blick hinter die Kulissen der dort ansässigen Ateliers und Initiativen werfen möchten. 

Das Gebäude der ehemaligen Schwabenbräu-Passage wurde 2020 von der Stadt Stuttgart erworben und wird bis 2025 von sozialen Trägern, Kulturveranstaltungen und -institutionen sowie Handwerker:innen zwischengenutzt. Wir von CURRENT sind auch mit von der Partie: unser Festivalbüro befindet sich seit April dort im dritten Stock.
Wir möchten euch alle ganz herzlich zu diesem offiziellen Tag der offenen Tür der Schwabenbräu-Passage einladen! Los geht es um 17 Uhr mit Redebeiträgen von Marc Gegenfurtner (Leitung Kulturamt), Bernhard Grieb (Leitung Wirtschaftsförderung), Sascha Bauer (Studio Cross Scale), Heide Fischer und Surja Ahmed (Fläche e.V.).
Im Anschluss stehen alle Türen offen! Kommt vorbei bei uns im dritten Stock, genießt die tolle Aussicht (Blick auf den Wasen!) und lasst uns gemeinsam bei einem Glas Brunnenwasser über die Stadt von Morgen sinnieren und wie Kunst im öffentlichen Raum ihren Beitrag dazu leisten kann!

Wir freuen uns auf euch!

OPENING Schwabenbräu-Passage
12. MAI 2023 // AB 17 UHR
Bahnhofstr. 14-18, Cannstatt-Mitte

#013

10. Mai 2023

... eine Frage an Laura Bernhardt

4 Fragen an die Künstlerische Leitung von CURRENT — KUNST UND URBANER RAUM

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©Kulturamt der Stadt Stuttgart

©Kulturamt der Stadt Stuttgart

Als aktiver Beitrag zu den Diskussionen um eine Neuausrichtung der Programme Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum wurde das Festival CURRENT – KUNST UND URBANER RAUM von Laura Bernhardt 2020 gegründet.

Wir vom Festivalteam haben Laura vier Fragen zur zweiten Ausgabe des Festivals mit dem Titel Unruhe bewahren! gestellt, das dieses Jahr vom 14. – 24. September stattfindet.

Hier kommt die erste Frage:

Festivalteam: Die Stadt Stuttgart hat kürzlich ein neues Programm für Kunst im öffentlichen Raum beschlossen. CURRENT war und ist Teil des Prozesses, der diesem Programm zugrunde liegt. Warum ist das neue Programm so wichtig für Stuttgart?

Laura: Zuallererst freut es mich sehr, dass CURRENT einen Teil dazu beitragen kann. Aus meiner Sicht liegt die Relevanz des neuen Programms für Kunst im öffentlichen Raum auf drei Ebenen:

Übergeordnet erlebt Stuttgart eine massive urbane Transformation, von der Mobiltätswende über komplett neue Quartiersentwicklungen, Veränderungen der Innenstädte, demographischer Wandel bis hin zu großangelegten Infrastrukturprojekten und den Megathemen Digitalisierung und Klimawandel. Wenn wir glauben, dass wir diese Veränderungen ohne Kultur hinbekommen, dann irren wir uns. Kunst und Kultur sollten in diesem Zusammenhang sehr ernst genommen werden. Das Programm ist für mich ein Zeichen der Wertschätzung der Kunst als essenziellen Teil dieser Veränderungen.

Kunst im öffentlichen Raum ist immer auch eine Aushandlung, wie wir uns gesellschaftlich definieren und repräsentieren. Aktuell spielen hierbei drei Punkte eine wichtige Rolle: Der öffentliche Raum hat durch die COVID Pandemie, speziell in der Zeit der Lockdowns, eine große Aufmerksamkeit bekommen. Seine Funktion für uns als demokratische Gesellschaft wurde auf den Prüfstand gestellt. Der Außenraum und damit auch maßgeblich der öffentliche Raum, wurde für unsere soziale Interaktion bewusster und als existenziell wahrgenommen. Als Gesellschaft fordern wir immer mehr Mitspracherechte und verlangen nach Gestaltungsfreiräumen. Des Weiteren sind wir eine vielfältige und vielstimmige Gesellschaft, die so auch sichtbar sein möchte. Diese Aneignung und Aushandlung des öffentlichen Raums müssen wir gesellschaftlich immer wieder neu definieren und lernen neu zu gestalten. Kunst und Kultur ist in diesem Zusammenhang wichtig und schafft Freiräume. Das neue Programm geht speziell darauf ein.

Die Bedeutung des neuen Programms für die Kulturförderung ist eine Chance auf die gegenwärtigen Bedingungen und Tendenzen der Kunst- und Kulturproduktion im Zusammenhang von urbanem und öffentlichen Raum einzugehen. Das Programm macht dies mit einer großen Offenheit und stellt Prozesse und eine transdisziplinäre Zusammenarbeit stark in den Vordergrund. Stuttgart kann so ein Modell für eine zukunftsweisende Förderstruktur sein.

Festivalteam: Vielen Dank für diesen Einblick!

#012

9. Mai 2023

Glitch-Klitsche – Bauen ohne Plan

ein Beitrag aus dem CURRENT Magazin #2 von Sylvia Winkler & Stephan Köperl

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Abb. 1: Sylvia Winkler & Stephan Köperl, Glitch-Klitsche, 2021 © Sylvia Winkler & Stephan Köperl / VG-Bildkunst

Abb. 1: Sylvia Winkler & Stephan Köperl, Glitch-Klitsche, 2021 © Sylvia Winkler & Stephan Köperl / VG-Bildkunst

Abb. 1: Sylvia Winkler & Stephan Köperl, Glitch-Klitsche, 2021 © Sylvia Winkler & Stephan Köperl / VG-Bildkunst

Abb. 1: Sylvia Winkler & Stephan Köperl, Glitch-Klitsche, 2021 © Sylvia Winkler & Stephan Köperl / VG-Bildkunst

Wie wenig es braucht, um etwas wie einen Laden, ein Restaurant oder ein Kino in die Welt zu bringen, haben wir auf unseren Reisen beobachtet. Ein Stuhl vor einem Baum, an dessen Stamm ein Spiegel angebracht ist: Kund:innen dieser Haarschneidegelegenheit sind nicht zwangsläufig schlechter frisiert als jene, die einen aufwendig ausgestatteten Coiffeur-Salon verlassen. Auf das Ergebnis kommt es an.

Mit der Vorstellung eines Kinos im Kopf und der tatkräftigen Assistentin Michelle Radam im Transporter durchstreifen wir die Stadt nach Sperrmüll. Gleich im ersten Haufen steht ein Möbelteil, welches sich für das Eingangsportal eignet. Und kurz darauf ein original Kino-Doppelsitz! Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass es kaum ein Ding gibt, das nicht auch im Müll zu finden ist.³
Form follows Zufall. Und Neuschöpfung ist oft nur die nahe liegende Kombination des bereits Vorhandenen.

Eine alte Mikrowelle für das Instant-Popcorn, Holz aus den Containern der Stuttgart 21-Baustelle, Teile eines alten Gartenhäuschens, gerettete Schrauben und Winkel vom Kunstverein Wagenhalle am Stuttgarter Nordbahnhof.

Da die Eigentümerin⁴ des von uns bevorzugten Standorts dessen Nutzung für das CURRENT Festival verweigert, weichen wir auf den in öffentlichem Besitz befindlichen Nachtwächterplatz aus.
Nach dem Abschreiten des Grundrisses spaxen wir drauf los, bis die Balken und zurechtgezimmerten Wände nicht mehr wackeln. Weder der Eingang noch der Notausgang weisen eine Schwelle auf. Zum Dach upcyceln wir Vinylausdrucke der Grundrechtscharta der Europäischen Union von einer vergangenen Aktion.

Da – bis auf den Projektor – ohnehin alles Material gefunden ist und leicht zu ersetzen wäre, wagen wir es, die Türen nachts nur mit einem Kabelbinder zu verschließen. Nach einer knappen Woche Bauzeit feiern wir die Eröffnung. Fünf bequeme Sitzplätze warten auf Gäste.

„We shouldn’t be frightened because problems show up in our cities —but what is frightening is that we don’t seem to be solving these problems. There’s something very wrong.“ Jane Jacobs⁵

Abb. 4: Sylvia Winkler & Stephan Köperl, Glitch-Klitsche, 2021 © Luzie Marquardt

Abb. 4: Sylvia Winkler & Stephan Köperl, Glitch-Klitsche, 2021 © Luzie Marquardt

Abb. 5: Sylvia Winkler & Stephan Köperl, Glitch-Klitsche am Nachtwächterbrunnen, 2021 © Sylvia Winkler & Stephan Köperl / VG-Bildkunst

Abb. 5: Sylvia Winkler & Stephan Köperl, Glitch-Klitsche am Nachtwächterbrunnen, 2021 © Sylvia Winkler & Stephan Köperl / VG-Bildkunst

STADT SCHAUEN

„We shouldn’t be frightened because problems show up in our cities —but what is frightening is that we don’t seem to be solving these problems. There’s something very wrong.“ Jane Jacobs⁵

Für das Programm der Glitch-Klitsche haben wir zu den Themen Stadtentwicklung und urbaner Kultur recherchiert und einen 120-minütigen Loop aus 30 Kurzfilmen zusammengestellt. Wir bedanken uns noch einmal herzlich bei allen Filmemacher:innen, die uns ihre Arbeiten zur Verfügung gestellt haben!

Die zunächst nicht absehbare Durchmischung des Publikums aus der Kunstwelt, den Nutzer:innen des angrenzenden Parkhauses und Skateparks sowie dem von Prostitution geprägten Milieu des Viertels hat eindeutig positiv zum Verlauf der Aktion beigetragen.

In der Stadt der Glitch-Klitsche wurde die Diskussion um Gestaltung, Sinnhaftigkeit und Mitbestimmung urbaner Prozesse lange Jahre anhand von Stuttgart 21 heftig geführt. „Für mich ist das schon von Anfang an kein Bahnprojekt, sondern es ist ein Immobilienprojekt!“, so der ehemalige Vorsteher des Stuttgarter Hauptbahnhofs, Egon Hopfenzitz. Die filmische Collage Das Erinnerungsfoto zeigt nicht nur den breiten Protest gegen dieses Großprojekt, sondern auch das zynische Handeln verantwortlicher Politiker:innen und Manager:innen.⁶ Wie mit dem Verschwinden der Gleisflächen die Versäumnisse lokaler Baupolitik nachgeholt und Versprechen auf nachhaltige Mobilität, vielfältige Nachbarschaften oder klima- neutrale Quartiere eingelöst werden sollen, erklärt uns das Werbevideo für das zukünftige Rosensteinquartier.⁷

Mit Formen des Protests beschäftigt sich auch Anna Witt mit der Gefährdung öffentlicher Sicherheit und den daraus folgenden Verwaltungsstraftatbeständen.⁸ Aber: „Does the security protect people like me, people like us?“. Thomas Schoiswohl untersucht den Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln unter dem Aspekt von Sicherheit und der Verdrängung marginalisierter Gruppen: „In der unternehmerischen Stadt ist die Kundschaft König. Als Kund:innen und Passant:innen bewegen wir uns durch die Verkehrsbauwerke und überschreiten mühelos die Grenzen. Aber wie ergeht es den Überflüssigen, den Ausgeschiedenen, den Gestrandeten und den Mittellosen an so einem Ort? Die Sandler sind eine visuelle Belästigung. Sie verweisen auf die sozialen Widersprüche und Schieflagen unserer Zeit. Das soll nicht sichtbar sein.“ „Sicherheit, Sauberkeit, Ordnung. Baustein um Baustein. Sauberer, sicherer, ein Bausatz“.⁹ Doch lassen sich die Verdrängten nicht unsichtbar machen oder in Bausätze pressen, wie in L.A.¹⁰ oder Jakarta, wo James Nachtwey eine Familie, die unter offenem Himmel zwischen zwei Bahngleisen lebt, begleitet.¹¹

„What do we think people need to have a dignified life? It’s clear that decent housing, affordable housing, is one of those things. I think we are at an incredibly urgent moment: the extent to which we see urbanization collide with stagnant wages and a lack of affordability is unprecedented. So then we start asking: who’s gonna live in cities, who are cities for?“

Leilani Farha, die UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen, benennt auch die Verantwortlichen: „In a human rights framework and through the UN system it’s very clear who is accountable: States are responsible, they have international human rights obligations, they signed treaties, they make commitments to the international community that they will uphold international human rights which include the right to adequate housing.”¹²

Saskia Sassen ergänzt: „This is not at all about housing. The buildings function as assets. You want those houses to be empty and unused. Because than you can play with them.“¹² Und der Architekturhistoriker Rudolf Stegers: „In London ist es mittlerweile so: da werden Wohnungen im Zentrum von Investoren aus allen möglichen Ländern gekauft, versiegelt und nicht benutzt und 3/4/5 Jahre später weiterverkauft. Da ist also die Wohnung in einem Hochhaus ein absolutes, reines Spekulationsobjekt, das hat mit der Funktion ‚Wohnen‘ gar nichts mehr zu tun, da wohnt auch niemand, sondern es ist in Plastik verpackt. Man besitzt die Wohnung 3 Jahre und nach 3 Jahren kann man sie teurer verkaufen, als man sie gekauft hat. Das heißt, zugespitzt, freier Markt.“¹³ Die Auswirkungen dieses freien Markts zeigt Markel Redondos Drohnenflug über die Ruinen von Ferien-Ressorts und Hotelanlagen: verlassen und nie fertigge- stellt nach dem Platzen der Immobilienblase in Spanien 2009.¹⁴ Aristofanis Soulikias hingegen erzählt uns die Geschichte der Gentri- fizierung des Boulevard St. Laurent in Montreal und seiner lebendigen Kulturszene – mit glücklichem Ausgang: „And the amazing thing is: they won!“¹⁵

„This land was once ocean. The ocean became land, a city. With a vision to build a better tomorrow in harmony with people. A green city the world has been dreaming of. And the dream is no longer just a dream – a brand new city that will lead the world. And it is here where answers to all advances in urban development or the future can be found.”¹⁶ Dass diese Zukunft der Stadt durchaus beunruhigend sein kann, zeigt New Songdo City, ein spezielles Beispiel der spekulativen Stadtentwicklung in Südkorea: Auf privatisiertem Land erbaut, von einem einzigen Unternehmen verwaltet, von multinationalen Investor:innen finanziert und als Musterstadt weltweit vermarktet. Diese Entwicklungen reflektieren wir in unserem Lied Smart Songdo Song und feiern darin auch die Menschen, welche elegante und nachhaltige Wege im Umgang mit diesen harten Realitäten finden.¹⁷

Ausgehend von gescheiterter Immobilienspekulation im Moskau der frühen 1990er Jahre entwirft das Künstler:innenkollektiv Metasitu das futuristische Szenario einer weltweit vernetzten Flughafenstadt. Ein Nicht-Ort und Supermarkt, Business Centre und Transit-Terminal zugleich. Eine geografische Leerstelle, an welcher sich Machtgeometrien durch Zugangsberechtigung manifestieren und Transiteur:innen auf Asylsuchende, Tourist:innen auf Whistleblower:innen, Klima- und Steuerflüchtige, Utopist:innen, Staatenlose und Arbeiter:innen treffen.¹⁸

Den Wahnsinn eines ganz realen Verkehrsraums zeigt uns Ron Gabriel 3 Minuten lang auf einer der 12.370 Kreuzungen New Yorks.¹⁹ Jouni Hokkanen und Simojukka Rui konnten die Disziplinierung des Straßenverkehrs in Pyongyang dokumentieren²⁰ und Jan Verbeek führt uns die Ergebenheit von Passagier:innen angesichts überfüllter Nahverkehrsmittel und deren ritualisierte Abfertigung vor Augen.²¹ Fast 1 Million Schweizer Franken in Blech sah Chris Niemeyer in 30 Sekunden im Zürich des Jahres 2005 an sich vorbeirauschen.²² Johann Lurf erstellt eine Bestandsaufnahme grotesker Raumgestaltung und suburbaner Bausünden auf knapp 100 nieder-österreichischen Kreisverkehren.²³

„Dieser Film zeigt alle nach Frauen benannten Verkehrsflächen Wiens. Er dauert 6 Minuten. Der gleiche Film über Männer wäre 54 Minuten lang.“ Aleksandra Kołodziejczyk und Karl Wratschko befragen die Repräsentanz von Frauen im Stadtbild und die Geschlechterungerechtigkeit des öffentlichen Raumes.²⁴ Diesem Verhandlungsplatz verschiedenster Bedürfnisse und Ansprüche der Stadtgesellschaft schreibt George C. Stoney schon 1964 besondere Anforderungen zu: „The three rights of (wo)men: The right to sit down, the right to get a drink of water and the right to use free public plumbing.“²⁵

In seiner Beschreibung gelungener Architektur am Beispiel des Kölner Opernhauses lobt Peter Zumthor die Komposition des Gebäudeensembles und stellt fest: „... es wird Öffentlichkeit erzeugt und das ist das größte, was Architektur in einer Stadt leisten kann: öffentlichen Raum erzeugen.“²⁶ Und Joseph Kosuth konstatiert:

„Architecture is really interesting because it’s the most political of all art forms – because it’s made for a purpose and reflects the culture.“²⁷

Dass virtuelle Architektur auch zum Träger realer Inhalte werden kann, zeigen Reporter ohne Grenzen mit ihrer Uncensored Library. Sie nutzen das Computergame Minecraft, um dort Texte von Journalist:innen, die in ihren oppressiven Heimatländern der Zensur unterliegen, zugänglich zu machen.²⁸ Leonhard Müllner und Robin Klengel nutzen die dystopische Umgebung von Tom Clancy‘s:

The Division für einen friedlichen Stadtrundgang durch ein postapokalyptisches NY. Hier begegnen wir den Theorien Le Corbusiers
und seiner Idee der totalen Stadterneuerung, der Stadtaktivistin Jane Jacobs und ihrem Opponenten, dem New Yorker Stadtplaner Robert Moses, der die autogerechte Stadt und einen sozialen Wohnungsbau auf Kosten historischer Stadtviertel und intakter Nachbarschaften vorantrieb, und landen schließlich – als Vertreter der neoliberalen Stadt – am Trump Tower.²⁹

„Architecture is really interesting because it’s the most political of all art forms – because it’s made for a purpose and reflects the culture.“²⁷

Abb. 3: Sylvia Winkler & Stephan Köperl, Glitch-Klitsche, 2021 © Luzie Marquardt

Abb. 3: Sylvia Winkler & Stephan Köperl, Glitch-Klitsche, 2021 © Luzie Marquardt

IST SUBKULTUR SKALIERBAR?

Als das Stuttgarter Kommunale Kino noch im Planetarium beherbergt war und ein Eimer zwischen den Holzstühlen das von der Decke tropfende Wasser auffing, konnte die Zahl der Besucher:innen nicht selten an einer Hand abgezählt werden. Und dennoch: Kaum ein anderer Ort, an dem eine solch überzeugende Auswahl an Filmen zu sehen war.³⁰ Auch während der Jahre im Filmhaus gehörte das kommunale Kino nicht zu den Publikumsmagneten, enttäuschte aber selten jene, die auch spät unter der Woche den Weg dorthin fanden.

Der Wunsch, die persönlichen Entdeckungen im Randständigen breitenwirksam zu institutionalisieren, ist verständlich. Doch kann dies auch gelingen? Kann ein Film- und Medienhaus³¹ in der geplanten Dimension noch den Geist des Nischenhaften und Gewagten atmen oder soll es weithin sichtbar als Garant von Progressivität im explodierten Medienangebot stehen?

Nach Ablauf des Festivals wurde vom Verein für das geplante Haus für Film und Medien die Überlegung geäußert, die Glitch-Klitsche weiterhin zu betreiben, wofür auch das Kulturamt der Stadt Stuttgart Unterstützung signalisierte. Aufgrund des nahenden Winters aber und der Kürze der Zeit ist dieser Plan letztendlich nicht umgesetzt worden.

¹ Glitch: a sudden, usually temporary malfunction or fault of equipment / an unexpected setback / Verzögerung

² winkler-koeperl.net

³ s. auch Pardo, José Luis, Nunca fue tan hermosa la basura

⁴ E. Breuninger GmbH & Co.

⁵ Laurence Hyde, City Limits, 1971, nfb.ca/film/city_limits/

⁶ Stephan Köperl, Das Erinnerungsfoto, 1997-2011, youtube.com/watch?v=-7rneeqcxBw

⁷ Stadt Stuttgart, Das neue Rosensteinquartier, 2020, youtube.com/watch?v=ghbnoBnBjMw

⁸ Anna Witt, Die Rechte des Gehsteigs, 2012.

⁹ Tomash Schoiswohl, Zur Sicherheit, 2016, vimeo.com/matzab

¹⁰ WalkingthroughLosAngeleshomelessslum|HomelesscrisisinAmerica,youtube.com/watch?v=RYKvaVOsruY

¹¹ Christian Frei: War Photographer, 2001

¹² FredrikGertten,PUSH–fürdasGrundrechtaufWohnen,2019

¹³ HansChristianPost,WessenStadt,2017

¹⁴ MarkelRedondo,SandCastles,2019,vimeo.com/325721830

¹⁵ AristofanisSoulikias,LastDanceonTheMain,2014,vimeo.com/99011728

¹⁶ Songdo,GoInsideTheCityOfTheFuture,RealLifeCinema,2018,youtube.com/watch?v=3ZKtr7vU5cI

¹⁷ SylviaWinkler&StephanKöperl,SmartSongdoSong,2013,winkler-koeperl.net/2013/incheon/songdo.html

¹⁸ Metasitu,StopOverCity,2014,metasitu.com/stop-over-city.html

¹⁹ RonGabriel,3-WayStreet,2011,youtube.com/watch?v=znhXVVCkZ2

²⁰ Jouni Hokkanen, Simojukka Rui, Pyongyang Robogirl, 2002, youtube.com/watch?v=QXTriN_6sPQ

²¹ Jan Verbeek, On a Wednesday Night in Tokyo, 2004, www.youtube.com/watch?v=nmp-9x4gOeo

²² Chris Niemeyer, 30 Sekunden Schweiz, 2005, vimeo.com/255880556

²³ Johann Lurf, Kreis Wr.Neustadt, 2011, sixpackfilm.com/de/catalogue/1916/

²⁴ Aleksandra Kołodziejczyk, Karl Wratschko, PRÄSENZ, 2020, karlwratschko.com/filme/praesenz/

²⁵ George C. Stoney, How to Live in a City, 1964, youtube.com/watch?v=2Je6Dko6mm4

²⁶ Merlin Bauer, Peter Zumthor zum Kölner Schauspiel- und Opernhaus, 2006, youtube.com/watch?v=5tu2I6ghhTU

²⁷ Joseph Kosuth, TIME SPACE EXISTENCE, Plane-Site, 2018, youtube.com/watch?v=rfX1sGydbdo

²⁸ Reporter ohne Grenzen, The Uncensored Library, 2020, uncensoredlibrary.com/de/v/about-the-library,uncensoredlibrary.com/de/v/making-of

²⁹ 29 Leonhard Müllner, Robin Klengel, Operation Jane Walk, 2019, vimeo.com/301933682

³⁰ z.B. die nach wie vor empfehlenswerte Doku: Nico Icon, 1995, youtube.com/watch?v=R1vkiQdEU7M

³¹ Haus für Film und Medien Stuttgart, hfm-stuttgart.de

#011

18. Apr. 2023

Tell me a Story. Narrative Stadtvermittlung

ein Beitrag aus dem CURRENT Magazin #2 von Christian Haid & Lukas Staudinger, POLIGONAL

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Fig. 1: POLIGONAL, Nothing that ever was changes – Lilith: Nur Bücher von Frauen, 2022, Photo: POLIGONAL

Abb. 1: POLIGONAL, Nothing that ever was changes – Lilith: Nur Bücher von Frauen, 2022, Photo: POLIGONAL

Fig. 2: POLIGONAL, Nothing that ever was changes – Die Tuntenoper, 2022, Photo: POLIGONAL

Abb. 2: POLIGONAL, Nothing that ever was changes – Die Tuntenoper, 2022, Photo: POLIGONAL

Fig. 3: POLIGONAL, Queering Common Space, 2021, Photo: POLIGONAL

Abb. 3: POLIGONAL, Queering Common Space, 2021, Photo: POLIGONAL

Fig. 4: POLIGONAL, Queering Common Space / Liz Rosenfeld, 2021, Photo: POLIGONAL

Abb. 4: POLIGONAL, Queering Common Space / Liz Rosenfeld, 2021, Photo: POLIGONAL

Gesellschaftliche und technologische Veränderungen bedeuten einen radikalen Wandel: Ganzheitlich, vernetzt und transparent scheint die Komplexität der Welt selbst die größte Herausforderung aber auch Chance zugleich zu sein. So ist es kaum möglich, jeden einzelnen Aspekt und jede Nuance unserer Lebenswelt vollständig zu verstehen. Die kognitiven Fähigkeiten des Menschen sind dazu wohl gar nicht in der Lage. Was für die Welt gilt, gilt gleichermaßen auch für die Stadt und ihre komplexen Gefüge. Städte sind mehr als bloße Ansammlungen von Gebäuden und Infrastrukturen. Sie sind mehr als Straßenraster, die A und B miteinander verbinden. Städte sind alles auf einmal – mit unzähligen parallel stattfindenden Ereignissen, Begegnungen und Geschichten, die in einem Netzwerk untrennbarer Verflechtungen simultan stattfinden und Räume schaffen. Über Tausende von Jahren hat eben diese Komplexität die großartigsten Errungenschaften der Zivilisation hervorgebracht: von der Demokratie zur Gewerkschaftsbildung, von der Typografie zum Sinfonieorchester, von der Elektrizität zur Herztransplantation. Wo Menschen aufeinandertreffen, Geschäfte machen, arbeiten und dadurch auch aufeinander angewiesen sind, werden neue Dinge ausverhandelt, in die Welt gebracht. Neue Erzählungen werden weitergegeben. Die Stadt, wie wir sie verstehen, ist transformatorisch, der Lokus, in dem sich Gesellschaft verändert, entwickelt und entfaltet. Dazu gehören leider auch soziale Ungleichheit, Armut, gesellschaftliche Ausgrenzung und Kriminalität. Dies ist ein Verständnis von Stadt und Stadtleben als Prozess, als etwas, das ständig im „Sich-selbst-Herstellen” ist und von Uneindeutigkeit und Unvorhersehbarkeit geprägt ist: „Die Stadt ist ständig im Entstehen"₁– und das immer rasanter.

Die zunehmende Komplexität urbaner Räume stellt für die Stadtplanung und Architektur eine wachsende Herausforderung dar. Auch die Planungspraxis wird komplexer und die konventionelle Ermittlung von Planungsgrundlagen im Kontext der Hyperkomplexität stößt an ihre Grenzen. Die Entwicklung neuer Formate und Kommunikationsmethoden wird demnach zur wesentlichen Kernaufgabe der Stadtvermittlung – als Grundlage für breit informierte Planungsprozesse und -entscheidungen. Welche Vermittlungsformate und -modelle können dieser neuen Komplexität begegnen? Welches Vokabular kann dafür entwickelt werden?

„Manchmal ist die Realität zu komplex. Geschichten geben ihr eine Form.“ Davon ist der Regisseur Jean Luc Godard überzeugt und erzählt in seinen Filmen vermeintlich Unerzählbares über zwischen- menschliche Verflechtungen und soziale Kosmen. Geschichten erweitern Dimensionen der Wahrnehmung und somit der Vorstellungskraft – Inhalte und Fakten werden vermittelbarer. Ihr Potenzial: Geschichten begeistern, empören, machen empathisch, motivieren und informieren. Ihr Vokabular ist erweiterbar, ihre Syntax variabel. Können also Storytelling, das Sammeln von Narrativen und das Formulieren von Metaphern zu Werkzeugen der Stadtforschung und -vermittlung werden und der Hyperkomplexität begegnen?

Wie können die Grundlagenermittlung und Planungssprache weiterentwickelt werden, um politische Debatten zu informieren und Entscheidungsfindungen demokratisch und gemeinwohlorientiert zu beeinflussen? Und: Wessen Geschichten sollen erzählt werden? Wie finden die Narrative jener Gruppen Gehör, die sonst tendenziell ungehört bleiben?Dazu zählen marginalisierte Gruppen wie Geflüchtete, queere Communities, BIPOC, aber auch Jugendliche und Obdachlose – Gruppen, die einen wesentlichen Beitrag zum Stadtleben leisten, deren Bedürfnisse und Narrative in Entscheidungsprozessen zur Gestaltung urbaner Räume jedoch wenig vertreten sind und die wenig Zugang zu konventionellen Partizipationsformaten haben. Geschichten zu erzählen ist also politisch.

Die Stadtforschung und -vermittlung muss gewohnte Pfade verlassen. In unserer Arbeit bei POLIGONAL stellen wir die These auf, dass schwer erfassbare Zusammenhänge mit Formaten des Geschichtenerzählens vermittelbarer werden. Das Sammeln, Sichtbar- und Hörbarmachen von unterrepräsentierten Aspekten des städtischen Lebens – von Themen, die in der öffentlichen Wahrnehmung oft untergehen – ist für uns Experimentierfeld sowie die Grundlage für einen konstruktiv-kritischen Diskurs zwischen Bewohner:innen, Expert:innen und Entscheidungsträger:innen.

Wir plädieren für formatübergreifende Sammlungen urbaner Geschichten – Sammlungen, die konstant wachsen können, die leben und die den Veränderungen im städtischen Kontext laufend Rechnung tragen. Wir plädieren für Archive – und Gegenarchive – zur Bündelung unterrepräsentierter Stimmen und als Informationsquelle im Kontext urbaner Transformation: in Form von frei zugänglichen barrierefreien Datenbanken, interaktiven open-source Mappings und Kartierungen, Kompendien künstlerischer Dokumentationen urbaner Alltagsgeschichten und Kommentare persönlicher Stadterlebnisse und -erfahrungen. Nur durch einen Perspektivenwechsel kann man dem Verständnis für die Stadt als komplexes System ein Stück näherkommen. Die künstlerische Praxis bietet an dieser Stelle eine Vielzahl kreativer Formate zur Dokumentation und Vermittlung von komplexen Zusammenhängen, aber auch individueller Emotionen: Filme, Hörspiele und Musik – laienhaft aber auch professionell; Performance, Tanz und Poesie lassen breite Wahrnehmungsspektren zu, die in Kombination mit etablierten Forschungsmethoden und -ergebnissen komplexe urbane Lebensrealitäten oftmals präziser, holistischer und realitätsnaher darstellen.

Geschichten erweitern Dimensionen der Wahrnehmung und somit der Vorstellungskraft – Inhalte und Fakten werden vermittelbarer. Ihr Potenzial: Geschichten begeistern, empören, machen empathisch, motivieren und informieren. Ihr Vokabular ist erweiterbar, ihre Syntax variabel.

Fig. 3: POLIGONAL, Queering Common Space, 2021, Photo: POLIGONAL

Abb. 3: POLIGONAL, Queering Common Space, 2021, Photo: POLIGONAL

Fig. 4: POLIGONAL, Queering Common Space / Liz Rosenfeld, 2021, Photo: POLIGONAL

Abb. 4: POLIGONAL, Queering Common Space / Liz Rosenfeld, 2021, Photo: POLIGONAL

Die Arbeit Nothing that ever was changes (2022, siehe Abb.1+2), in der wir uns auf die Suche nach verschwundenen Orten queerer Stadtkultur gemacht haben, porträtiert in einem Kompendium aus Hörbildern mit Interviews und O-Tönen queerer Stadtmacher:innen und Aktivist:innen die Komplexität queerer Orte, die es nicht mehr gibt. Die Erzählungen der Potagonist:innen verbinden sich mit historischen Fakten, zeichnen ein komplexes Bild der Orte im Laufe der Jahrzehnte und kontextualisieren so deren Abhängigkeit von allgemeinen stadttransformatorischen Prozessen wie Gentrifizierung, Verdrängung und Marginalisierung. Frei zugänglich über QR-Codes können die Geschichten der Protagonist:innen an den Ort direkt abgerufen werden und werden so zu einem offenen Archiv queerer Stadtkultur direkt im Stadtraum.

Auch mit dem Projekt Queering Common Space (2021, siehe Abb.3+4) entwickelten wir eine Online-Plattform₂, die die Bedeutung urbaner Räume als Aktionsräume für queere Communities sichtbar macht. Dieses offene Online-Archiv lädt Personen dazu ein, persönliche Erlebnisse und Momente mit und an queeren Orten in Form von Bild-, Audio- und/oder Textbeiträgen zu teilen. Die dadurch porträtierten Alltagserfahrungen, die sowohl Freuden als auch Traumata thematisieren, erlauben einen intimen Blick in die Lebensrealitäten queerer Personen und ihre urbanen Praktiken. Das Projekt wurde unter anderem im Rahmen der Ausstellung Freistaat Barackia im Kunsthaus Bethanien in Berlin, 2021, gezeigt: Das Kuratorinnenkollektiv Nyabinghi Lab thematisierte darin die Bedeutung des Archivierens von Stadtgeschichte für das kollektive Gedächtnis und die Erinnerungskultur. Die namensgebende informelle Siedlung Barackia – im südlichen Teil des heutigen Kreuzberg gelegen – wurde im 19. Jahrhundert von wohnungssuchenden Arbeitsmigrant:innen und zu großen Teilen von Personen mit afrikanischen Wurzeln gegründet und bewohnt, bevor sie nach zwei Jahren Existenz abgerissen wurde. Die Existenz dieser nicht nur aus urbanistischer Perspektive höchst interessanten Siedlung ist heute kaum jemandem bekannt. Die marginalisierten Bewohner:innen und deren Leistung als Stadtmacher:innen erschienen der damaligen Geschichtsschreibung nicht relevant genug. Die Ausstellung versuchte diesem historischen Versäumnis entgegenzuwirken und einen Bogen zu aktuellen Themen der Stadtentwicklung zu spannen.

Die Dokumentation, Archivierung und Vermittlung von (Stadt-)Geschichten kann und muss Planungs- und Transformations- prozesse begleiten und sollte demnach auf der gleichen Ebene wie traditionelle Planungswerkzeuge betrachtet werden. Die Vermittlung von Stadt an der Schnittstelle zu künstlerischer Praxis muss eine selbstverständliche Grundlage der Stadtplanung und Stadtentwicklung sein. Dieses erweiterte Verständnis von Planungskultur kann zu einer informierteren und gemeinwohlorientierteren Entwicklung der Stadtgesellschaft beitragen und Gestalter:innen in ihrer Entscheidungsfindung unterstützen: ob Architekt:innen, Stadtplaner:innen, Designer:innen, Politiker:innen oder Bürger:innen an der Wahlurne. Denn, wie Mary Catherine Bateson schreibt „Die menschliche Spezies denkt in Metaphern und lernt durch Geschichten.“₃

₁ AbdouMaliq Simone: Citylife from Jakarta to Dakar, London 2009.

www.queeringspace.xyz

₃ M.C. Bateson: Peripheral vision, New York 1994

17. Apr. 2023

CURRENTLY – Das digitale Skizzenbuch & mehr

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Das digitale Skizzenbuch CURRENTLY geht in die nächste Runde und damit starten wir den Countdown für das zweite Festival CURRENT – KUNST UND UBRANER RAUM vom 14. – 24. September 2023.

Zwar ist es noch eine Weile hin bis September, doch der Frühling liegt schon in der Luft und die Vorbereitungen für das zweite Festival sind im vollen Gange. Derzeit befindet sich das kuratorische Team mitten in Gesprächen und Diskussionen über Formate und Programmschwerpunkte zum Thema Unruhe bewahren! mit Künstler:innen, Kollektiven und Kooperationspartner:innen.

CURRENTLY begleitet die Prozesse, Ideen, Gedanken und Eindrücke der Beteiligten von CURRENT seit der ersten Festivaledition 2021. Für die zweite Festivalausgabe erweitern wir das Skizzenbuch-Format um Newsbeiträge, Blicke hinter die Kulissen, inhaltlichen Anregungen zum Titelthema, FREE READS aus dem CURRENT Magazin und vielen weiteren Formaten.

Taucht ein in die Welt von CURRENTLY, stay tuned und bewahrt Unruhe!

8. Feb. 2023

Stuttgart hat ein Programm für Kunst im öffentlichen Raum!

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© Kulturamt Stadt Stuttgart

Worskhoptag "Stuttgart bekommt ein Programm für Kunst im öffentlichen Raum" © Kulturamt Stadt Stuttgart

Gemeinderatsbeschluss vom 8. Februar 2023

"Kunst im öffentlichen Raum ist Teil des urbanen Lebens, das gesellschaftliche und stadtplanerische Entwicklungsprozesse der Stadt anstoßen und begleiten kann. Sie gestaltet Kommunikations- und Reflexionsräume für die Stadtgesellschaft und schafft damit Zugänge zur Kunst.“
Mit dieser Begründung (Auszug) hat der Gemeinderat der Stadt Stuttgart das Programm für Kunst im öffentlichen Raum offiziell beschlossen! Vor knapp einem Jahr starteten die Vorbereitungen für den Auftakt-Workshop zur Erarbeitung des Programms, den wir in Kooperation mit dem Kulturamt Stuttgart organisieren durften. Aus den intensiven Diskussionen und Arbeitsgesprächen am 23. Juni 2022 entstanden dann die ersten Ideen, Maßnahmen und Wünsche für das Programm.
Weitere Informationen zum KiöR-Programm findet ihr auf www.stuttgart.de/kioer

Wir sind unglaublich begeistert und freuen uns sehr, dass wir Teil dieses spannenden Prozesses sein konnten und sind. Vielen herzlichen Dank an das Kulturamt der Stadt Stuttgart, den Gemeinderat der Stadt Stuttgart und an alle Beteiligte, die zum Beschluss des Programms beigetragen haben. Cheers!

#08

13. Sept. 2021

Aus der Reihe »Der verstrahlte Hügel«: Strahlung/Wellen/Fragmente

Ein Beitrag von Atelier Ameisenberg / Werkstatthaus

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© Atelier Ameisenberg / Oana Vainer & Michl Schmidt

© Atelier Ameisenberg / Oana Vainer & Michl Schmidt

Eine kleine Expedition betritt den riesigen Hohlraum im Ameisenberg, den 40 Millionen Liter Wasser im ehemaligen Speicher zurück gelassen haben.Der Strom wurde für drei Stunden wegen Bauarbeiten abgeschaltet, die Lichtstrahlen der Taschenlampe leuchten der Gruppe den Weg, was die Konzentration auf das Hörbare verstärkt.Für den Soundtrack sorgt die Shakuhachi und das lange Zurückschwingen ihrer Töne.

In meiner Vorstellung geht ein Strahl direkt geradeaus, von A nach B, von der Sonne zur Erde. Wird von Strahlung im physikalischen Sinne gesprochen, haben wir es allerdings häufig mit Wellen zu tun. Ein Merkmal von Strahlung kann ihre Unsichtbarkeit sein, welche oft ein Unbehagen auslöst, auch wenn die Wirksamkeit von Strahlung nicht notwendiger Weise gefährlich oder schädlich ist. Das Adjektiv „verstrahlt“ meint die Kontaminierung durch Strahlung, wie auch einen Zustand der Entrücktheit, hervorgerufen beispielsweise durch die Wirkung psychoaktiver Substanzen, spiritueller Erfahrungen, oder anderer Einflüsse, die das bei sich Sein beeinträchtigen und einen Parallelzustand initiieren, der für die Anderen nicht sichtbar ist. Eine weitere Technik des Unsichtbarmachens ist die Verdrängung. Hierbei wird etwas real Existentes aus dem Sichtfeld gebracht, ganz im Gegensatz zur Verstrahltheit, bei der scheinbar nicht-existente Dinge gesehen und erfahren werden können.

Ein Hügel ist eine natürlich entstandene, oder eine künstlich geschaffene Anhöhe in der Landschaft, sie ist kleiner als ein Berg und nicht wesentlich länger als breit. Vom Menschen erschaffene Hügel, wie keltische Gräber oder Abraumhalden haben automatisch eine kulturelle Relevanz, aber auch das Bewohnen natürlicher Hügel spielt kulturgeschichtlich eine Rolle, zum Beispiel eine strategische, um rechtzeitig sehen zu können wer kommt und vielleicht auch warum. Auf dem Hügel, wo sich unser Atelier befindet hört man sehr selten den Motor eines Rasenmähers, obwohl es in der Umgebung viele Gärten gibt. Vermutlich beherbergen diese Gärten wenig Rasenflächen oder der Rasen wird nicht gemäht und es wachsen Wiesen, die dann mit der Sense geschnitten oder vom Vieh (Gänse, Kühe) beweidet werden oder die Gräser sterben ab, kompostieren und werden in einem unendlichen Kreislauf Dünger für die folgenden Vegetationsgenerationen. Sowie für den Sequoiadendron, für den sich dieser Kreislauf bereits seit über 100 Jahren wiederholt und der auf dem Gelände der Villa Hauff in direkter Konkurrenz zum Gebäude steht und so ein Gegenmodell zu diesem und vor allem zum Bunker und Gänge-System (das sich Spekulationen zu Folge unter der Villa befinden soll) darstellt.Spekulation, Legende und Mythos sind nicht das Gleiche, aber doch in gewisser Weise miteinander verwandt.

Claude Lévi-Strauss schrieb: Mythen haben keinen Autor, sobald sie als Mythen wahrgenommen werden, was immer ihr Ursprung sein mag, gibt es sie nur in einer Tradition verkörpert. Wenn ein Mythos erzählt wird, empfangen die Hörer:innen eine Botschaft, die eigentlich von nirgendwoher kommt; dies ist der Grund, weshalb man ihm einen übernatürlichen Ursprung zuschreibt.

#07

1. Sept. 2021

zoomorphic islands

Ein Beitrag von Valentina Karga

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Valentina Karga, zoomorphic islands, concept sketch, 2021

Valentina Karga, zoomorphic islands, concept sketch, 2021

zoomorphic islands – a concept sketch for ISLAND or Infrastructure’s infrastructure

#06

21. Aug. 2021

Lass nochmal die Brücke da drüben anhören...

Ein Beitrag von Julien Fargetton & Benjamin Frick

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Preperations for Fühlerskop – a handmade recording device for exploring the urban © Julien Fargetton & Benjamin Frick

Vorbereitungen für das Fühlerskop – ein selbstgebautes Aufnahmegerät zur Erkundung des Urbanen © Julien Fargetton & Benjamin Frick

© Julien Fargetton & Benjamin Frick

© Julien Fargetton & Benjamin Frick

© Julien Fargetton & Benjamin Frick

© Julien Fargetton & Benjamin Frick

© Julien Fargetton & Benjamin Frick

© Julien Fargetton & Benjamin Frick

Uns sonst verschlossene Sphären wie Vibrationen, magnetische Wellen, Bewegungen, Texturen und Dichte werden erlebbar. Unsichtbare, unhörbare oder vernachlässigte Elemente werden zur Komposition, vergessene Räume aus dem alltäglichen Leben zum Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Aus unserer Gewohnheit, hastig das große Ganze zu konsumieren, trainiert uns das Fühlerskop in Langsamkeit und hilft dabei mikroskopische Klänge zu erforschen. Kleine Risse werden auditiv verstärkt, winzige Kiesel äußern sich laut hörbar, Geldautomaten, Elektroroller und Magnetstreifenleser produzieren akustisch entspannende Meditationsfelder...

Fühlerskop ist eine Einladung, das bereits Bekannte zu erkunden.

#05

19. Aug. 2021

Glitch Klitsche – die Sofortlösung

Ein Beitrag von Sylvia Winkler & Stephan Köperl

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© Sylvia Winkler, Stephan Köperl

© Sylvia Winkler, Stephan Köperl

© Sylvia Winkler, Stephan Köperl

© Sylvia Winkler, Stephan Köperl

© Sylvia Winkler, Stephan Köperl

© Sylvia Winkler, Stephan Köperl

© Sylvia Winkler, Stephan Köperl

© Sylvia Winkler, Stephan Köperl

© Sylvia Winkler, Stephan Köperl

© Sylvia Winkler, Stephan Köperl

© Sylvia Winkler, Stephan Köperl

© Sylvia Winkler, Stephan Köperl

Die Glitch Klitsche ist die Sofortlösung für eine längst überfällige Spielstätte – ein Interimskino – mit anspruchsvollem Kulturprogramm. Das Kino besteht aus recycelten Materialien, die ohne großen Aufwand in kurzer Zeit zusammengezimmert werden. Mit wiederverwendeten Geräten wird das Kino betrieben und bietet Platz für ein sehr kleines Publikum. Ein temporärer und begehbarer Auftakt für die schon so lang ersehnte Rückkehr eines Kinos. Noch sind es bloß ein paar Bretter, schon bald laden die Künstler:innen zum Richtfest in die Leonhardsvorstadt…

#04

5. Aug. 2021

GET IN TOUCH!

Ein Beitrag von SuE (Stadtplanung und Entwerfen) – Universität Stuttgart

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SuE going public. Student work from Karen Berger, Irene Calero Pages, Diego de la Guardia, Elena Grimbacher, Shirin Hillawi, Mathilde Josse, Ann-Marie Klar, Sinem Molenaar, Manuel Motschiedler Viktoria-Louise Müller, Alptug Gökalp Namver und Maria Inês Pires Reis © Lehrstuhl Stadtplanung und Entwerfen

SuE going public. Studierendenarbeit von Karen Berger, Irene Calero Pages, Diego de la Guardia, Elena Grimbacher, Shirin Hillawi, Mathilde Josse, Ann-Marie Klar, Sinem Molenaar, Manuel Motschiedler Viktoria-Louise Müller, Alptug Gökalp Namver und Maria Inês Pires Reis © Lehrstuhl Stadtplanung und Entwerfen

SuE going public. Studierendenarbeit von Karen Berger, Irene Calero Pages, Diego de la Guardia, Elena Grimbacher, Shirin Hillawi, Mathilde Josse, Ann-Marie Klar, Sinem Molenaar, Manuel Motschiedler Viktoria-Louise Müller, Alptug Gökalp Namver und Maria Inês Pires Reis © Lehrstuhl Stadtplanung und Entwerfen

SuE going public. Studierendenarbeit von Karen Berger, Irene Calero Pages, Diego de la Guardia, Elena Grimbacher, Shirin Hillawi, Mathilde Josse, Ann-Marie Klar, Sinem Molenaar, Manuel Motschiedler Viktoria-Louise Müller, Alptug Gökalp Namver und Maria Inês Pires Reis © Lehrstuhl Stadtplanung und Entwerfen

„Wir haben seit der Pandemie entdeckt wie wichtig es ist mit anderen Menschen und uns selbst in Kontakt zu treten. Das Ziel dieser Ansammlung von Orten ist es all diese lang vergessenen Orte des physischen Austausches wieder in das Bewusstsein zu rufen. Wir haben es satt, zu Hause zu bleiben! Es ist an der Zeit rauszugehen und sich im Stadtraum aufzuhalten: Mit Freund:innen, mit einer Verabredung, bei einem Abendessen mit der Familie, bei einem spontanen Treffen mit Fremden... All dies kann man in Stuttgart finden. Diese Kommunikationsstadtkarte hilft Ihnen Orte zu finden, an denen Sie sich auf unterschiedliche Weise treffen können. Abhängig von Ihren eigenen Bedürfnissen. Öffnen Sie jetzt die Karte, wählen Sie einen Ort aus und treten Sie in Kontakt!"

Besonders nach der Pandemie werden der städtische Raum und die physische Kommunikation wieder eine wichtige Rolle einnehmen. Im Rahmen des Seminars "Sue Going Public" haben Studierende der Universität Stuttgart die wichtigsten Interaktionsräume für Kommunikation in der Stuttgarter Innenstadt auf einer Karte verortet. Diese Stadtkarte ist ein Ausgangspunkt für jede:n, bereit mit anderen oder mit sich selbst im öffentlichen Raum in Kontakt zu treten. Um das soziale Engagement weiter auszubauen, wurde eine interaktive digitale Karte erstellt, in die man weitere eigene Orte der Kommunikation einfügen kann. Somit kann in Kontakt mit den Studierenden und der Universität Stuttgart getreten werden. 

Karen Berger, Irene Calero Pages, Diego de la Guardia, Elena Grimbacher, Shirin Hillawi, Mathilde Josse, Ann-Marie Klar, Sinem Molenaar, Manuel Motschiedler Viktoria-Louise Müller, Alptug Gökalp Namver und Maria Inês Pires Reis untersuchen gemeinsam mit den Mitarbeitern des Lehrstuhls Stadtplanung und Entwerfen, Prof. Dr. Martina Baum, Alba Balmaseda Dominguez und Jonas Malzahn.

#3

23. Juli 2021

Aus der Reihe »Der verstrahlte Hügel«: Sirop de muguri de brad, Venus de Piatra N. (Sandsteinvenus) #02

Ein Beitrag von Atelier Ameisenberg / Werkstatthaus

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 © Atelier Ameisenberg

© Atelier Ameisenberg

 © Atelier Ameisenberg

© Atelier Ameisenberg

 © Atelier Ameisenberg

© Atelier Ameisenberg

Zurück im Süden Deutschlands, in Stuttgart, im Mai 2021, wo der einzige Tannenbaum in unserem Ateliergarten höher ist als all die Häuser drumherum, inklusive unseres Hauses. Die Spitzen des Tannenbaums waren reif für das Zubereiten des jährlichen Hustensirups. Als ich die Spitzen zupfte, hörte ich eine Stimme rufen, die immer lauter wurde. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob es an der lauter werdenden Stimme oder meiner wachsenden Aufmerksamkeit lag. Es war die Nachbarin aus dem gegenüberliegenden Haus, ein weißes, freistehendes Haus mit drei sehr langen weißen hängenden Stoffstreifen. „Was machen Sie da, was pflücken Sie, wofür, was machen Sie damit?” Ich war überrascht. Denn ich dachte, dass die meisten Menschen in dieser Gegend mehr oder weniger stark vom anthroposophischen Gedankengut beeinflusst sind, was mich glauben ließ, dass dadurch viele einen Zugang zur Pflanzen- und Heilpflanzen Welt haben. Damit lag ich falsch. Die freudestrahlende Nachbarin hatte von dem Tannenspitzensirup nie zuvor gehört. Es war nicht so, dass ich mich ob meiner Heilpflanzen Kenntnisse der Gegend nahe gefühlt habe. Nun aber fühlte ich mich als Außenseiterin und sah mich bildlich schon fast in der Rolle der Schwester aus dem Märchen Die sechs Schwäne der Brüder Grimm, mit Kohle im Gesicht und im Versteck der Dunkelheit Brennnessel um Brennnessel pflücken. Gleichzeitig erzählte sie mir welcher Tee – gebraut aus eigenen Gänseblümchen – die Haut verschönert. Sie bat mich um ein Rezept, ich brachte ihr eine für mich außergewöhnliche Variante, mit Honig als Ersatz für den Zucker, wie sie wünschte. Als Dankeschön bekam ich Lauch aus dem eigenen Garten, frisch geerntet. In gewissem Sinne ist der Tannensirup aus dieser Begegnung entstanden, nach meinem Rezept genießt nun die Nachbarin ab und zu ihren eigenen Sirup aus eben diesen Tannenspitzen.



Înscenarea lui Venus!

Venus de Piatra Neamț

#2

19. Juli 2021

PORÖSES STUTTGART

Ein Beitrag von Begleitbüro SOUP

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Entrance S-Bahn Schwabstrasse, © SOUP

Zugang S-Bahn Schwabstrasse, © SOUP

von Kurt Grunow

Der Bau des S-Bahnhofs Schwabstrasse in Stuttgart 1974 kann als signifikante Erweiterung des Bestandes an „porösen“ Strukturen im Stadtkörper angesehen werden. Dies nicht nur wegen der 1,5 km langen unterirdischen Wendeschleife, die von dem 5 km langen Hasenbergtunnel südlich des S-Bahnhofs abzweigt, sondern auch aufgrund der weitläufigen unterirdischen Räume, die beim Bau des 27m unter der Straßenoberfläche liegenden S-Bahnhofs entstanden sind. Bei der Fertigstellung des in offener Bauweise erstellten Bahnsteigbereichs wurden am südlichen Ausgang insgesamt drei übereinanderliegende Zwischengeschosse konstruiert, die wohl allein der Verfüllung der gewaltigen Baugrube wegen geschaffen wurden, denn die Räume sind von der DB nie genutzt worden. Die mittlere dieser Etagen hat eine Grundfläche von 450 qm, die beiden anderen dürften von ähnlicher Größe sein. Auch in anderen unterirdisch gelegenen Bahnhofsanlagen der Stadt gibt es solche als „Lager“ ausgewiesene Leerräume; mitunter werden sie an Gruppen oder Einzelpersonen vergeben, die darin Freizeitaktivitäten entfalten wie z.B. Rockmusik oder auch Eisenbahnmodellbau. Besonders die Modellbahner finden in diesen Kapillaren der Stadt gute Arbeitsbedingungen vor, denn umgeben vom echten Eisenbahnbetrieb lässt sich an dessen maßstabsgerechter Verkleinerung um so motivierter und leidenschaftlicher laborieren.

Einer der erstaunlichsten Aktivisten auf diesem Gebiet ist wohl der Eisenbahnangestellte Wolfgang Frey gewesen – von 1992 bis zu seinem frühen Tod 2012 erbaute er in jenem Zwischengeschoss C2 im S-Bahnhof Schwabstrasse ein Modell des Hauptbahnhofes mit allen anschließenden Gleisanlagen und Stadtgebieten bis Bad Cannstatt in der einen und dem Stuttgarter Westen in der anderen Richtung.

Stadtmodell von Wolfgang Frey in Herrenberg, @ SOUP

Stadtmodell von Wolfgang Frey in Herrenberg, @ SOUP

Stadtmodell von Wolfgang Frey in Herrenberg, @ SOUP

Stadtmodell von Wolfgang Frey in Herrenberg, @ SOUP

Kopie des Stellwerks von Wolfgang Frey, Zwischengeschoss C2, @ SOUP

Kopie des Stellwerks von Wolfgang Frey, Zwischengeschoss C2, @ SOUP

Original des Stellwerks im Hauptbahnhof Stuttgart, @ SOUP

Original des Stellwerks im Hauptbahnhof Stuttgart, @ SOUP

Die Festung der Einsamkeit, Foyer Zwischengeschoss C2, @ SOUP

Die Festung der Einsamkeit, Foyer Zwischengeschoss C2, @ SOUP

Zwischengeschoss C2, ‚Kenotaph für Wolfgang Frey / der Unterbau‘, heutige Raumsituation, © K.H.Bogner

Zwischengeschoss C2, ‚Kenotaph für Wolfgang Frey / der Unterbau‘, heutige Raumsituation, © K.H.Bogner

Modellwelten als Weltmodelle 1: Das Stellwerk / Scheinanlage Stuttgart, Rauminstallation Galerie AK2, 2021, © SOUP

Modellwelten als Weltmodelle 1: Das Stellwerk / Scheinanlage Stuttgart, Rauminstallation Galerie AK2, 2021, © SOUP

Einer der erstaunlichsten Aktivisten auf diesem Gebiet ist wohl der Eisenbahnangestellte Wolfgang Frey gewesen – von 1992 bis zu seinem frühen Tod 2012 erbaute er in jenem Zwischengeschoss C2 im S-Bahnhof Schwabstrasse ein Modell des Hauptbahnhofes mit allen anschließenden Gleisanlagen und Stadtgebieten bis Bad Cannstatt in der einen und dem Stuttgarter Westen in der anderen Richtung. Die Naturtreue dieser Modellanlage im Maßstab 1:160 ist derart überwältigend, dass der SWR ihr mehrere Sendebeiträge widmete, Presse und Zeitschriften ausführlich berichteten und die Anlage 2017 von der Tochter des Modellbauers nach Herrenberg verkauft wurde, wo sie heute öffentlich besichtigt werden kann. Ein zentraler Bestandteil der Anlage blieb jedoch im Zwischengeschoss zurück: eine im Maßstab 1:1 gefertigte Replik des Arbeitsplatzes von Wolfgang Frey zur Steuerung der riesigen Modellanlage nach dem Vorbild des Hauptstellwerks des Stuttgarter Bahnhofs. Begleitbüro SOUP hat ihrem Entstehungsort den Namen Festung der Einsamkeit gegeben und dort eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Gründen und Abgründen dieses Paralleluniversums angestoßen.

Wir sehen die Modellwelt des Wolfgang Frey als Nachbildung der Stadt Stuttgart in engem Zusammenhang zur Scheinanlage Brasilien . Die Frage, was man von Stuttgart alles weglassen kann, oder wie man aus Stuttgart eine sich zum Verwechseln ähnliche Stadt macht, ist vor dem Hintergrund aktueller städtebaulicher Entwicklungen längst zu einer politischen Frage geworden.

#1

6. Juli 2021

Aus der Reihe »Der verstrahlte Hügel«: Sirop de muguri de brad, Venus de Piatra N. (Sandsteinvenus) #01

Ein Beitrag von Atelier Ameisenberg / Werkstatthaus

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© Atelier Ameisenberg

© Atelier Ameisenberg

© Atelier Ameisenberg

© Atelier Ameisenberg

Ein Wald in den Karpaten, östlich von Siebenbürgen, ein Mischwald, dicht bewachsen mit zahlreichen Buchen. Wir waren maximal viermal dabei, vermutlich immer im Frühjahr, vermutlich deshalb, weil uns die Wintermonate manchmal unendlich lang vorkamen und ich das Gefühl hatte, es sei Sommer als wir dort hingewandert sind.
Der erste Teil des Weges war immer der gleiche, es ging über das Wasserwerk an der Bistritza, die im Rodna-Gebirge ihren Ursprung hat. Die Überquerung des Wasserwerkes habe ich als Abenteuer und Herausforderung empfunden, da es sehr laut, tief und gefährlich war. Wir konnten das Wasser unter unseren Füßen sehen. Vergleichbar mit Kämpfen gegen Monster, die wir auch auf dem Weg dorthin nachspielten, das Wasser war ein Drachen, der kein Feuer aber Wasser spuckte, was für uns aber viel gefährlicher als die Kraft des Feuers war. Wasser reißt alles mit sich, auch ganze Ortschaften mit ihren Häusern. Das Feuer konnte man dagegen löschen. Im Gegensatz dazu waren Überschwemmungen häufig nicht zu bekämpfen, nicht in diesem Teil der Welt.
Um die Tannenspitzen zu finden, sind wir Stunden gelaufen. Mit unseren kurzen Beinen schien es zeitlos lang, daher kamen wir uns vor wie die Zwerge aus Schneewittchen.
Angekommen an diesem Ort, weit weg von Straßen, Menschen, Tieren, Flüssen und Seen, nur nah am Himmel, fingen wir an die Spitzen zu pflücken. Ab und an versteckten wir uns, da wir Bärenkot riechen konnten. Nicht nur vor Bären sollte man sich in Acht nehmen, auch größere Wassermengen sind manches Mal zu Tal gestürzt. Einen solchen Zwischenfall gab es einmal bei einer archäologischen Grabung bei Piatra Neamt. Die riesigen Überschwemmungen, die das wissenschaftliche Team zur Unterbrechung ihrer Grabungen zwang, können im Nachhinein als günstige Fügung bezeichnet werden, brachten sie doch eine der ältesten Sandsteinfiguren ans Licht, benannt nach dem Ort, wo sie gefunden wurde, die Venus von Piatra Neamt. Ihr Alter wird auf ca. 17.000 Jahre geschätzt. Obwohl im Ort ein archäologisches Museum existierte, wurde die Skulptur 368 km entfernt, in den Süden des Landes gebracht.

1. Mai 2021

Willkommen im digitalen Skizzenbuch

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48.7657713, 9.1633892 © Sophie Bergemann

48.7657713, 9.1633892 © Sophie Bergemann

CURRENT widmet sich in seiner ersten Ausgabe dem Porösen (in) der Stadt und benennt dabei potenzielle Lücken in der Planung sowie Lücken im kollektiven Bewusstsein. Dieser Blog begleitet die Ideen, Gedanken und Skizzen aller Beteiligten und setzt sich mit Bedeutungen, Interpretationen und Assoziationen hinter dem Konzept der Porosität auseinander.

Städte sind in Bewegung. Sie verändern sich immerzu. Straßenzüge wandeln ihr Gesicht, entstehen an einer Stelle neu und werden an nächster schon wieder abgerissen. Das Urbane – Plätze, Straßen und Häuser werden intensiv gebraucht, belebt, verhandelt. Sie sind die Container unseres Alltags. Die Behauptung einer vollendeten oder gar fertigen Stadt kann sich niemals erfüllen.

CURRENT nutzt die Stadt Stuttgart als Modell zur Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Hier generieren großangelegte Bauprojekte Zukunftsprojektionen, versprechen Ideale und Vollendung. Lücken, Brachen, Leerstellen, das Ungeplante, Brüchige, Provisorische oder gar Ruinöse werden als Hindernisse solcher Mythen wahrgenommen, denn sie implizieren das Unfertige. Krisen erschüttern den einst geradlinig empfundenen Plan. Verunsicherung schafft Eventualitäten, die einen konstruktiven Umgang mit Unplanbarkeit erfordern und mehr denn je Zusammenhalt verlangen.

Kunst hat das Potenzial eine Lücke zu bilden, mit der neue und kritische Wahrnehmungsweisen des Vorhandenen, Alltäglichen und Selbstverständlichen erst ermöglicht werden. Die Kunst bringt gezielt neue Elemente in den Raum, indem sie sich mit ihm verbindet oder einen Konflikt hervorruft – in der Reflektion über das Alltägliche. Die Distanz zum Konkreten – das Imaginäre als Lücke – braucht es in Planungs- und Entwicklungsvorhaben von Stadt.

Dieser Blog ist das digitale Skizzenbuch, das Interpretationen und Assoziationen der beteiligten Künstler:innen und Partner:innenveröffentlicht und theoretischen, spekulativen oder wissenschaftlichen Aspekten hinter der Idee bzw. dem Konzept der „Porosität“ Raum gibt.

Das Urbane als porös zu begreifen, heißt auch, sich produktiv auf Unplanbarkeiten und Durchlässigkeiten einzulassen – auf die immerzu unfertige Stadt.