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/ 20.Juni 2025

Drei Fragen an Natalía Dominguez

Eine junge Frau sitzt mit geschlossenen Augen auf dem Boden eines Studios und hält ein Mikrofon mit beiden Händen, während sie sich auf den Klang konzentriert – umgeben von Kabeln, Technik und minimalistischer Ausstattung.

(Original-Interview in Englisch)

 Die Künstlerin Natalia Domínguez arbeitet mit Installation, Skulptur und Klang, um die Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt in postindustriellen Landschaften zu erforschen. Ihre Performance Ralentí: ticking over, eigens für das Festival entwickelt, bringt einen nicht-binären, feministischen Chor in Dialog mit Motorgeräuschen. Die Arbeit hinterfragt die Verbindung von Maskulinität, Technik und kollektiver Identität – als klangliche Intervention und politische Geste, die bestehende Machtverhältnisse neu komponiert.

CURRENT: In Ralentí: ticking over arbeitest du direkt mit Automotoren und lädst Performer*innen ein, gemeinsam mit diesen Maschinen einen Chor zu bilden. Welche Arten von Verbindungen oder neuen Beziehungen hoffst du durch diese Interaktion zwischen Technologie, Geschlecht und Körper sichtbar zu machen?

Natalia Domínguez: Der Titel der Performance Ralentí: ticking over bezieht sich auf das Geräusch von Motoren im Leerlauf – ein Klang, der tief in einer vorwiegend männlich geprägten Vorstellung verankert ist. Die Klanggestaltung von Autos ist direkt mit der Industriellen Revolution verbunden, in der Maschinen mit Männlichkeit assoziiert wurden, und das Geräusch von Industrie zu einem Symbol für Stärke, Fortschritt und Dominanz wurde.

In dieser Performance nutzt ein Chor von FLINTA-/nicht-binären Personen ihre Stimmen, um ein Klangstück zu komponieren, das sich auf die Mechanismen von Automotoren bezieht – in dem Versuch, eine neue Polyphonie zu schaffen, in der traditionell zum Schweigen gebrachte und marginalisierte Stimmen aufsteigen, um die geschlechtsspezifische Dynamik von Technologie herauszufordern.

Gleichzeitig richtet die Performance auch Aufmerksamkeit darauf, wie Luft sowohl das Medium ist, das Motoren antreibt, als auch das lebensnotwendige Element, das alle Lebewesen teilen – eine Brücke zwischen menschlichem Atem und Maschinenfunktion, die betont, wie beide auf voneinander abhängigen Strömen basieren.

CURRENT: Luft spielt eine zentrale Rolle in deinem Projekt. Wie verstehst du das gemeinsame Atmen als eine Form von Widerstand oder Transformation im post-industriellen, petro-kapitalistischen Kontext?

Natalia Domínguez: Wir sind keine Bewohner*innen der Erde, sondern der Atmosphäre, sagt Emanuele Coccia. Aber diese Atmosphäre, ursprünglich als ungreifbar und unbestimmt gedacht, ist das Ergebnis einer Reihe von unterdrückenden und extraktiven Bedingungen, die unsere Körper direkt betreffen.

Atmen verbindet das Innere unseres Körpers mit der Umwelt und schafft zugleich einen kollektiven Moment, in dem alle Lebewesen durch den Austausch von Sauerstoff und CO₂ miteinander in Beziehung treten. Für mich wird das „gemeinsame Atmen“ zu einer alltäglichen und zugleich radikal transgressiven Handlung, die uns helfen kann, uns empathischere, weniger ausbeuterische und regenerativere Beziehungen untereinander und zur Umwelt vorzustellen.

CURRENT: Wie war deine Beziehung zu Luft als Material und Konzept, bevor du dieses Projekt entwickelt hast? Wie hat sie sich durch deine jüngsten Arbeiten verändert?

Natalia Domínguez: Mein erster Zugang zur Luft erfolgte durch die Arbeit mit „veränderbaren“ Materialien. Anfangs interessierte ich mich sehr für „instabile“ Materialitäten, die ein anderes Element benötigen, um Form anzunehmen. Daraus entwickelte ich die Serie ST (parachute) – eine Gruppe von Skulpturen, die sich von Schutzvorrichtungen aus der Luftfahrt inspirieren lassen, als Werkzeuge, die zwischen unseren Körpern und der Atmosphäre vermitteln. Ebenso entstanden weitere Skulpturen, die sich mit industriellen Rohrsystemen befassen – starre Elemente, die Gas- und Luftströme lenken.

Diese Arbeiten führten mich zu der Erkenntnis, dass manche dieser Materialitäten nicht nur schwer zu definieren, sondern auch schwer sichtbar zu machen sind. Luft war eine davon.

Die feministische Philosophin Luce Irigaray argumentiert, dass die Betrachtung von Luft als „Leere“ das Ergebnis von Jahrhunderten westlichen Denkens ist, das das Feste, das Sichtbare, das Stabile privilegiert hat – und dabei die Materialität von allem anderen „vergessen“ hat. Dieses Vergessen lässt sich unter anderem damit erklären, dass Luft sich der Sichtbarkeit entzieht – die Moleküle, aus denen sie besteht, sind zu klein, um mit bloßem Auge wahrgenommen zu werden. Doch Irigaray zeigt uns, dass Luft unsichtbar gemacht wurde – absichtlich aus dem Blickfeld verbannt. Diese Unsichtbarkeit hat reale, verkörperte Konsequenzen. Und sie schließt all das aus, was nicht ist: die Zwischenräume, die Grauzonen, das Flüssige, das Vergessene.

Meine jüngste Arbeit untersucht, wie unsichtbare Narrative rund um Luft unser Miteinander beeinflussen und die Welt, in der wir leben, unterwerfen. Dadurch verschiebt sich mein künstlerisches Interesse zunehmend hin zu den sozialen und politischen Dimensionen von Luft als einem gemeinsamen Medium, das Körper, Umgebungen und Technologien miteinander verbindet. „Ralentí: ticking over“ zielt darauf ab, diese Verbindungen durch eine kollektive Stimme zu verstärken und die Materialität des gemeinsamen Atmens zu erforschen, um neue Diskurse zu eröffnen.

Foto Credits:
© Roberto Ruíz

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